Gysling, Andrea: Die analytische Antwort.
Eine Geschichte der Gegenübertragung in Form von Autorenportraits, edition
diskord, Tübingen 1995, 408 Seiten.
Schon 1985 schrieb die Autorin die vorliegende Arbeit, mit der sie bei
Gaetano Benedetti promovierte. Die Arbeit ist auch entstanden, um dem
verbreiteten Dilemma der Ausbildungskandidaten entgegen zu wirken, sich im Chaos der
heutigen Psychoanalyse entweder der Orthodoxie einer Richtung zu verschreiben
oder in einem "nivellierenden Relativismus" herum zu schwimmen.
Die kritische Lebendigkeit, welche die Autorin in den "Psychoanalytischen
Kolloquien" ihrer Lehrer (Benedetti und Battegay) erlebt, konnte sie mit in
ihre Darstellung der Geschichte der Gegenübertragung hineinnehmen. Nicht oft
findet sich ein derart lebendig geschriebener Text, der die jeweiligen Konzepte
der Gegenübertragung und ihre mehr oder weniger dogmatische Handhabung mit
ihren Schöpfern in Beziehung setzt. Der heute lebhaften Diskussion der Konzepte von
Bion und Kernberg trägt die Autorin durch entsprechende Ergänzung ihrer
ursprünglichen Arbeit um zwei Kapitel Rechnung.
Die Arbeit gliedert sich in vier Teile, denen vier Phasen in der theoretischen
Entwicklung der Begrifflichkeit entsprechend postuliert werden. Zunächst ist da
die Pionierzeit, die noch viel mit Furcht vor der Gegenübertragung assoziiert
war. Besonders kraß erlebte ja Breuer die Fallstricke von Übertragung und
Gegenübertragung und scheiterte so gründlich an ihnen, dass er mit der
weiteren Entwicklung Freuds nichts mehr zu tun haben wollte. Diese Zeit ist von
Warnungen, aber auch von Experimentierfreudigkeit gekennzeichnet, wie etwa die
Versuche von Ferenczi, dem väterlichen Prinzip in der Gegenübertragung ein
mütterliches zur Seite zu stellen. Dabei wurde in dieser Zeit die
Gegenübertragung vorrangig als pathologisches Geschehen auf Seiten des
Therapeuten verstanden, weshalb diese möglichst zu vermeiden war.
Zwischen den 30-iger und 50-iger Jahren ruhte die Thematik in einer Art
"Dornröschenschlaf". Gleichwohl befaßten sich einige Autoren mit dem
anrüchigen Kind des analytischen Prozesses. Alexander und French etwa wollten
in der Gegenübertragung die konträre Haltung der Eltern der Patienten
einnehmen, um ihnen so eine emotional korrigierende Erfahrung zuteil werden zu
lassen. Karen Horney schien relativ unreflektiert ihre unbewußten Konflikte auf
ihre Patienten zu übertragen und so recht dirigistisch mit ihnen umzugehen,
indes Ella Sharpe den analytischen Übermenschen attackierte und den Weg bahnte,
ihn menschlicher und damit letztlich mitmenschlicher werden zu lassen. Wilhelm
Reich schien auf der Jagd nach der negativen Übertragung zu sein, worin sich
seine paranoide Linie ziemlich ungeklärt in der Gegenübertragung austobte.
Die Balints stellten die Keimfreiheit der analytischen Situation in Frage, wobei
noch die kleinsten Details etwas über den Analytiker aussagen, etwa die
Gestaltung der Couch als asketisches Folterbett oder kuschelige
Schmuseecke, worüber die Kissen auf dem Ruhebett zu erzählen wissen.
In diese Zeit gehört ebenfalls Theodor Reik, dessen Überlegungen zur
Gegenübertragung unter anderem in den sehr lesenswerten Text "Hören mit
dem dritten Ohr" eingegangen sind.
"Von 1950 an wurde es schlagartig möglich, den Begriff
Gegenübertragung definitorisch massiv auszuweiten und das Gesamt der
emotionalen Antwort des Analytikers als unermeßlich wertvolles Werkzeug zum
Besseren Verständnis des Patienten anzuerkennen und zu nutzen." Die
Gegenübertragung verlor den Charakter des Anrüchigen oder Ausdruck der nicht
ausreichend langen Lehranalyse des Analytikers. Zwar blieb und bleibt es
wichtig, die Gegenübertragung zu reflektieren und kritisch zu prüfen, jedoch
wird sie nunmehr auch Schlüssel zum Unbewußten des Patienten.
In der heutigen Diskussion steht die Gegenübertragung in ihrer
indikatorischen Funktion kaum noch in Frage, deren Handhabung ist in den
Mittelpunkt der Behandlung gerückt, teilweise wird sie sogar zur Konkurrenz der
Deutung. Dabei entfaltet sich ein Streit zwischen einer eher
mütterlich-tragenden und einer eher paternalistisch-fordernden
Behandlungsführung.
B. Kuck, Januar 2002
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