Znoj,
Hansjörg: Komplizierte Trauer. Fortschritte der Psychotherapie Band 23.
Hogrefe, Göttingen 2004. 94 S., 19,95 €
„Komplizierte
Trauer“ wird anhand
eines Beispiels vorgestellt. Das Buch selbst wird erst gegen Ende erwähnt.
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Gerda war nicht die erste
Patientin auf unserer psychosomatischen Station mit ausgeprägten körperlichen
Beschwerden. Die Zahl der Gebrechen und Unfällen, die ihr widerfuhren, übertraf
dann aber doch alles, was uns bislang so begegnet war. Die stämmige, kräftige
Frau legte auf unseren Wunsch eine zweiseitige Liste an, aus der hervorging,
dass seit ihrer Geburt 1956 fast kein Jahr vergangen war, in welchem sie nicht
ein Unglück ereilte. Gleich nach der Geburt wäre sie fast an der Ruhr
gestorben, es folgten mehrere Sportunfälle mit Sprunggelenks-, Oberarm- und
Ellenbogenbrüchen, Platzwunden, Stürze, ein Darmverschluss mit starken
Verwachsungen, eine Leberprellung mit anschließender Hepatitis. Als Tierärztin
auf dem Lande wurde sie mehrmals schwer von Pferden getreten, aus den Prellungen
resultierten ständige Schmerzen am Knie und im Bauch. Die Entbindung ihres
zweiten Sohnes war problematisch und fast schon lebensbedrohend. In den
folgenden Jahren wurden eine Endometriose (Wucherung der Gebärmutterschleimhaut)
und Morbus Crohn (eine chronisch entzündlichen Darmkrankheit) behandelt. Sie brach sich das
Nasenbein, riss sich das linke Sprunggelenksband und ihr wurden Gebärmutter und
Eierstockzysten entfernt – von der Mandelresektion, langanhaltender Entzündung
der großen Gelenke und Furunkeln in der Nasenhöhle gar nicht erst zu reden.
Der aktuelle Grund, warum sie unsere Klinik aufsuchte, waren epgastrische
Schmerzen (im Oberbauch gelegen, zwischen Rippenbögen und dem Nabel), die
nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes vor zwei Jahren anfingen und seither an Stärke
zugenommen haben. Die Schmerzen bestanden ständig und behinderten sie so sehr,
dass sie seit einem halben Jahr krankgeschrieben war und aus Angst vor Schmerzen
weniger isst. Außerdem plagten sie die schon bekannten Schmerzen im rechten
Sprunggelenk und im rechten Knie. Hinzu kamen momentan starke Übelkeit mit
Erbrechen, die sie in Zusammenhang mit einem verordneten Schmerzpflaster sah,
welches sie aus diesem Grund nur bei unerträglichen Schmerzen stundenweise
aufklebte.
Bei Aufnahme diagnostizierte der Stationsarzt eine somatoforme autonome
Funktionsstörung des Verdauungssystems (F45.32 und F45.33) und eine
Anpassungsstörung (F43.2), letzteres offensichtlich im Hinblick auf den Tod
ihres zweiten Mannes. Gegen die „somatoforme autonome Funktionsstörung“
hatte ich von Anbeginn eine Abneigung; es waren neben den unerklärlichen
Schmerzen meines Erachtens einfach zu viele handfeste Erkrankungen
diagnostiziert und behandelt worden, als dass allein psychosomatische Faktoren für
die Schmerzerzeugung angenommen werden konnten.
Wie dem auch sei, in den Einzelgesprächen saß mir eine beherrschte,
freundliche Frau gegenüber, die in klaren Worten Auskunft gab und
selbstbeherrscht gar keinen schmerzgeplagten Eindruck machte. Sie war nicht
gerade eine weibliche Evastochter, vielmehr eindeutig von robuster Statur, dazu
trug sie Hosen und Blusen in männlichem Schnitt.
Indessen hatte sie zwei Kinder zur Welt gebracht, für mich ein
eindeutiger Beweis ihrer Weiblichkeit, und zwei weitere Schwangerschaften
abgebrochen, weil sie angesichts der vielen Beschädigungen der Mut verließ.
Wegen der Leber durfte sie die Pille nicht nehmen, eine Spirale vertrug sie
nicht und eine Sterilisation wurde ihr in der DDR verweigert. Andererseits war
sie zweimal verheiratet und hatte Freude an der Sexualität, da schienen die
Abtreibungen ein einigermaßen gangbarer Weg.
Die obige Beschwerdeliste ist keineswegs vollständig; seit ihrer Kindheit
peinigten sie fast ständig Harnwegsinfekte, die erst 2002 verschwanden, als die
Blase im Zuge der damals durchgeführten Hysterektomie von Verwachsungen befreit
und aufgerichtet wurde. Wir kamen nicht daran vorbei, zwei Selbstmordversuche in
der späten Pubertät zur Kenntnis zu nehmen, welche die Dramatik des Geschehens
und ihres Lebens um einige Drehungen hochschrauben. Mit 16 stürzte Gerda mit
einem Pferd und quetschte ihren Bauch. Sie litt die nächsten zwei Jahre an ständigen
Schmerzen, die, da kein Grund feststellbar war, mit viel Schmerzmitteln
behandelt wurden. Damals machte sie erstmals die zermürbende Erfahrung des
Nichternstgenommenwerdens durch Mediziner, was in einen Suizidversuch mündete.
Vier Jahre später griff sie wieder zu einer Überdosis Schmerzmittel, ebenfalls
wegen beißender Bauchschmerzen. Beide Male wurde sie rechtzeitig ins
Krankenhaus gebracht. Seit dieser Zeit hat sie die Befürchtung, von Ärzten als
Simulantin verkannt zu werden.
Ich machte mich daran, die Sozialanamnese zu erheben. Die Kindheit war
wechselhaft. Die Eltern trennten sich, als sie 5 Jahre alt war, sie blieb bei
der Mutter und zog mit ihr in der DDR-Provinz häufig um. Den Stiefvater
akzeptierte Gerda nicht. Die Beziehung zum leiblichen Vater war gut, wenn auch
beschränkt, da der Mutter der Kontakt missfiel. Gerda interessierte sich seit
frühester Kindheit für Pferde, machte das Abitur und lernte Veterinärmedizin.
Mit 23 heiratete sie einen etwas älteren Ausbildungsleiter und bekam mit ihm
zwei Söhne. Die Ehe beschreibt sie als harmonisch und glücklich, beide Partner
hätten sich gut entfalten können. Neben ihrem Beruf engagierte sie sich in
Familien- und Jugendfragen. Nachdem der Ehemann zunehmend Probleme mit dem
Alkohol bekam, zog sie die Notbremse und trennte sich, obwohl die Ehe aus ihrer
Sicht „noch gut“ war. Den Kontakt hat sie nicht abgebrochen.
Sie war 40, als Gerda ihren zweiten Ehemann heiratete, den sie schon seit
der Wende – also einige Jahre - kannte und der einen landwirtschaftlichen
Betrieb führte. Aus dieser Ehe hat sie eine Tochter. Vor vier Jahren erkrankte
der zweite Ehemann an einer Lungenentzündung; zwei quälende Jahre lebte er
noch, bis er in ihren Armen starb. Sie hatte ihn gepflegt, nebenher liefen Beruf
und die Kinder, doch die Älteren kümmerten sich um die kleine Schwester.
Mir imponierte an Gerda schon bald eine bemerkenswerte Tüchtigkeit, ein
hohes Engagement und ein starkes Bemühen um die Mitmenschen. Sie hatte fast
immer Schmerzen und arbeitete doch fast immer voll. Zu ihrem Lebensmotto gehört
der Satz „Lebe so, dass Du jeden Tag, solltest Du sterben, Dir sagen kannst,
es war schön und sinnvoll, trotz aller Bauchschmerzen.“ Sie schätzt es,
anderen zu helfen und sie zu fördern und nahm selber dankbar die Hilfe vieler
guter Freunde an.
Viel probierte sie aus, um mit den Schmerzen umzugehen; der aktuelle
Klinikaufenthalt diente auch dazu, ihren Schmerzmittelgebrauch, der
unkontrolliert zu entgleisen drohte, zurückzufahren. Reiten gehörte zu ihrer
Entspannung. Zu ihren Prinzipien gehört es, das Leben sinnvoll zu gestalten und
ökonomisch auf eigenen Füßen zu stehen. Beides gelang ihr offensichtlich.
Ihre Lebensprinzipien waren ziemlich klar: „Drück’ den Schmerz weg“ und
„Ohne Arbeit ist das Leben nicht lebenswert“. Das hatte sie offenbar von der
Mutter. Sie ließ es nicht zu, dass die Schmerzen sie daran hindern, ein erfülltes
Leben zu führen. Selbst während der Schwangerschaften zog sie ihre Projekte
durch. Zudem hatte sie kurz zuvor bereits angefangen, ihr Leben zu ändern: sie
verkleinerte die Praxis, nachdem sie starke Überforderungsgefühle verspürt
hatte. Jetzt sei sie etwas ruhiger, weil empfindsamer und nicht mehr so fit. Das
könne sie akzeptieren.
Im Laufe der Gespräche lenkte ich zurück auf die Ehemänner. Denn
ich spürte, ihr war es noch nicht gelungen, eine hinreichende emotionale
Distanz zu dem vor zwei Jahren gestorbenen zweiten Ehemann herzustellen. Sie
glaubt, ihn hätte „retten“ und ihm weitere Lebensjahre hätte schenken können,
wenn sie den Todkranken in ein Krankenhaus gebracht hätte. Der aber war stur
gewesen und hatte sich gesträubt. Auch die Trennung von ihrem ersten Ehemann
ist noch nicht wirklich abgeschlossen; hier hat sie die Phantasie, sie hätte
ihn bei noch stärkerer Anstrengung vom Alkoholismus abbringen können. Das
angebliche Versagen an diesen beiden Punkten steht im inneren Konflikt mit - wie
ich meine - unrealistisch hohen Selbst- und Leistungsanforderung. Bei ansonsten
überdurchschnittlicher Tüchtigkeit kann sie es sich nicht verzeihen, gegen den
Alkohol und gegen den Tod unterlegen gewesen zu sein. Sie hätte, glaubt sie,
das Schicksal zwingen können, wenn sie mehr um den ersten Ehemann gekämpft und
den zweiten einfach ins Krankenhaus verfrachtet hätte. Sie glaubt, sich der
Verantwortung entzogen zu haben, sie glaubt, sie sei geflüchtet. Das empfindet
sie als Niederlage. Immerhin kann sie jetzt erstmals über den Tod sprechen,
wenngleich ihr eine Einstellungsänderung noch nicht möglich ist. Bei aller
Bewunderung, mir erscheint ihre Haltung etwas hybrid und anmaßend. Wer könnte
von sich fordern, den Tod besiegen zu müssen?
An diesem Punkt wurde ich auf Hansjörg
Znoj aufmerksam. Ausgebildet in den USA, arbeitet der
Psychotherapeut seit 2002 als Assistenz-Professor an der Universität Bern. Sein
Buch Komplizierte Trauer
(Hogrefe: Göttingen Bern 2004) fiel mir auf, als ich mich wieder einmal
gedanklich mit Gerda beschäftigte. Nicht nur dieses Buch, die gesamte Reihe
„Fortschritte der Psychotherapie“ des Hogrefe-Verlags, dessen 23. Band
„Komplizierte Trauer“ ist, erregte mein Interesse, da sie eine schnelle
Orientierung, einen engen Praxisbezug, einen klaren Aufbau und hohe
Anschaulichkeit versprechen und ohne allzu viel theoretisches Drumherum
auszukommen scheinen. Was also bietet Znojs „Komplizierte Trauer“ für den
Fall Gerda?
Schon die ersten Sätze begeisterten mich: Es gibt keine standardisierte
Trauer, es gibt also auch kein manualisierbares therapeutisches Vorgehen.
Trauern selbst ist keine Krankheit, sondern ein notwendiger Durchgangsprozess,
der neben Belastungen auch positive Erfahrungen zulässt. Trauer ist Ausdruck
von Verlust und gleichzeitig Bewältigung des Verlustes. Trauer dauert länger
und deren Ausdruck ist vielfältiger als gemeinhin angenommen. Der Tod muss
nicht akzeptiert und Trauer muss nicht „überwunden“ sein, bevor man sich
wieder neuen Aufgaben und Bindungen zuwendet. Trauer bedeutet nicht automatisch
Lebenseinschränkung. Mit diesen Aussagen destruiert Znoj auch meine eigenen,
empirisch nicht belegten Vorstellungen und Mythen. Richtig bleibt, dass die
Intensität der Trauer von der Qualität der Beziehung abhängt.
Im Unterschied zur „natürlichen Trauerreaktion“ (das ist eine Bewältigungsform
zur Anpassung an eine neue Wirklichkeit ohne den geliebten Menschen) wird
„Komplizierte Trauer“ laut Znoj definiert
durch:
-
keine allmähliche Abnahme der Trauerintensität;
-
starke, anhaltende Schuldgefühle (etwas am Toten versäumt zu haben,
das Unglück selbst verantwortet zu haben durch Unachtsamkeit oder Nachlässigkeit);
-
keine oder kaum Anpassung an die neue Wirklichkeit;
-
reaktives selbstschädigendes Verhalten (Alkohol, Drogen);
-
Depression;
-
langfristige Schlaf- und Essstörungen;
-
Vernachlässigung des sozialen Netzes und damit
-
Vereinsamung.
Im ICD-10 gibt es keine spezifische Diagnose
für komplizierte Trauer; Znoj schlägt F43.2 (Anpassungsstörung), F43.1
(Posttraumatische Belastungsstörung) oder F34.1 (Dysthymie) vor. In der Regel
wird sich Trauer hinter anderen affektiven Störungen, Depressionen,
psychosomatischen Störungen oder Dissoziationen verstecken oder diese
begleiten. Der bemühte und besorgte Therapeut sollte zudem wissen, dass es
keine schlüssigen Therapiekonzepte gibt, welche die komplizierte Trauer rasch
und nachhaltig beeinflussen könnten. Man kann hoffen, dass im Laufe der
Behandlung primär angebotener psychischer und psychosomatischer Störungen die
Sprache auch auf unverarbeitete Trauerfälle kommt und die pathologische
Trauerreaktion dann sekundär mit aufgelöst wird.
Differenzialdiagnostisch
ist komplizierte Trauer von Depression oder affektiven Störungen schwer
abzugrenzen. In der Depression ist das Gefühlsleben verflacht, während komplizierte
Trauer anfallsartig-turbulent aufsteigt. Eine Abgrenzung zur posttraumatischen
Belastungsstörung (PTB) ist kaum möglich. Starke Trauer kann sich
weiterentwickeln zu einer Angststörung mit konkreten Phobien. Doch komplizierte
Trauer tritt nur selten isoliert auf, sie lauert meist als Komorbidität im
Hintergrund von Angststörungen (auch PTB) und Depressionen. Depressionen erhöhen
die Wahrscheinlichkeit einer komplizierten Trauerreaktion; das Risiko für
Suizid ist in der Trauer erhöht. Vor allem aber gilt – was ich aus eigener
Praxis bestätigen kann –, dass unabgeschlossene Trauer erstaunlich häufig
vorkommt. Oftmals starben Partner oder Eltern vor Jahren, gar Jahrzehnten, doch
die Trauer ist virulent. Und selbst das Herzweh um einen Hund, der als
Familienmitglied betrachtet wurde, kommt manchmal vor.
Znoj geht ausführlich ein auf Trauerreaktionsmodelle (es gibt keinen
Standard!), Tod eines Kindes, Verlust des Ehepartners, Verlust der Eltern, die
Trauerarbeit beeinträchtigende Faktoren (z.B. die Überzeugung, den Tod
kontrollieren zu können; Grübeln; mangelnder sozialer Rückhalt; Verdrängung;
Verleugnung; Vermeidung), die Entstehung der komplizierten Trauer usw. Das Buch
zeichnet sich dadurch aus, dem Therapeuten einige einfache Fragen, separat
gedruckt auf einer gelben Karte aus fester Pappe, an die Hand zu geben, die ihn
rasch auf die Spur einer komplizierten Trauerreaktion führt. Gefragt wird z.B.
nach:
-
Welche Funktion hatte die verstorbene Person
-
Wird der Tod tabuisiert? Wie steht es mit Friedhofsbesuchen?
-
Inwieweit konnte Abschied genommen werden?
-
Gibt es Wut und Zorn auf den Verstorbenen?
-
Hat das Leben ohne den Verstorbenen noch einen Sinn?
-
Gibt es somatische Begleitsymptome oder eine Missachtung körperlicher
Bedürfnisse?
-
Inwieweit werden Alkohol etc. eingesetzt, um die Trauer zu bewältigen?
-
Was löst problematisches Verhalten aus? Was wird mit problematischem
Verhalten vermieden?
-
Was hat die trauernde Person bisher unternommen, die Trauer in den Griff
zu bekommen? Welche Ressourcen stehen zur Verfügung
-
An wen wendet sie sich, wenn sie Hilfe braucht?
Am interessantesten scheint mir die Therapie
der komplizierten Trauer. Es gibt klinische Fragebögen und man kann
den Patienten bitten, Tagebuch zu führen. Znoj empfiehlt vor allem die
Plananalyse, wie sie Franz Caspar entwickelt hat, ein Verfahren zum Aufdecken
innerer Konflikte. Dazu scheint ein eigenes Studium notwendig, in diesem Buch
werden leider keine genaueren Hinweise gegeben. Caspars Bücher sind nur schwer
zu bekommen und ziemlich teuer.
Die Therapie sollte vier Punkte berücksichtigen:
-
die Wirklichkeit des Verlustes akzeptieren,
-
den Schmerz des Verlustes erfahren (hier muss drauf geachtet werden,
bestehende medizinische und psychologische Probleme nicht zu verstärken),
-
sich verändert einrichten in eine Welt ohne den Verstorbenen, und
-
die Beziehung zum Verstorbenen neu definieren, beispielsweise auch im
Rahmen einer neuen Beziehung.
Nicht günstig ist es, Trauerrituale zu forcieren oder
auf der „richtigen Trauer“ („weinen ist gut“) zu bestehen. Auch wollen
Trauernde nicht in erster Linie Trost, sondern ernstgenommen werden. Für die
praktische Arbeit bedeutet dies, die verstorbene Person in ihrer Bedeutung für
sich selbst wahrzunehmen und die Beziehung zu dieser Person in ihrer ganzen
Komplexität zu begreifen. Konflikte mit ihren schmerzhaften Gefühlen dürfen
dabei nicht ausgespart werden. Oftmals bestehen falsche oder untaugliche
kognitive Vorstellungen über Tod und Sterben; eine davon ist, dass Konflikte
mit Verstorbenen nicht mehr gelöst werden können. Verdeutlichte Konflikte und
emotionales Nacherleben können Erfahrungen durchaus korrigieren. Konfrontieren
mit falschen und pathologischen Haltungen und Ansichten ist im Einzelfall
sinnvoll. Der Patient soll selbst auf konstruktive Lösungen kommen. Neben den
korrektiven Erfahrungen geht Znoj auf Genusstraining, Ressourcenaktivierung,
Training sozialer Kompetenz und die mögliche Rolle des Humors ein. Tabuisierte
Themen lassen sich mit allgemeingültigen Aussagen einleiten: „Viele Trauernde
machen die Erfahrung, dass ihnen Gegenstände von verstorbenen Personen sehr
wichtig werden“ oder "Viele Trauernde reden mit ihren Verstorbenen, als ob
sie noch leben“.
Das Buch hat mir eine Fülle konkreter Hinweise gegeben,
wie ich mit der Patientin (und künftigen Patienten) weiter arbeiten kann. Ob
sich Gerdas schuldbeladene Trauer auflösen lässt, wird sich erst zeigen. Znoj
und der Verlag jedenfalls haben den Anspruch eingelöst, einen praxisnahen
Leitfaden zum therapeutischen Umgang mit Trauernden vorzulegen. Gleichzeitig
konnte ich meine eigenen Vorstellungen von Trauer überprüfen, was vielleicht
noch wertvoller ist, als gute Tipps an die Hand zu bekommen. Nicht geeignet
scheint das Buch zu sein für Notfallinterventionen nach traumatischen
Ereignissen, aber das ist auch nicht das Anliegen.
Dr. G.
Mackenthun
(arbeitet als Psychotherapeut in einer ostdeutschen
Klinik, zuvor war er an der Berliner Charité tätig)
Berlin, Januar
2005
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Komplizierte Trauer