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Yalom, Irvin D.: Der Panama-Hut. oder Was einen guten Therapeuten ausmacht. btb Taschenbuch Goldmann Verlag, München 2002, 284 Seiten


Inzwischen sind einige Bücher des existenzphilosophisch orientierten amerikanischen Psychotherapeuten ins Deutsche übertragen worden (Chronik einer Psychotherapie; Gruppenpsychotherapie; Existenzielle Psychotherapie; Und Nietzsche weinte; Die rote Couch; Die Liebe und ihr Henker;  Die Reise mit Paula). Alle diese Texte zeichnen sich durch beachtliches Einfühlungsvermögen und ausgesprochen gute Lesbarkeit aus.
Wie schon die letzten drei genannten Texte befasst sich auch der vorliegende mit dem inneren Geschehen des psychotherapeutischen Prozesses, wobei Yalom diesmal "Ratschläge" nicht nur für angehende Psychotherapeuten erteilt. Der Autor ist von dem Impuls geleitet, seine Erfahrungen an die nächste Generation weitergeben zu wollen und zugleich eine Lanze für die Begegnung in der Psychotherapie zu brechen. Neben diesem Hauptanliegen fällt dabei noch eine Kritik an der Entwicklung der Psychotherapie ab, wie sie in Amerika schon unter dem Diktat der evidenzbasierten Medizin Einzug gehalten hat. Und da alles Schlechte aus Amerika noch eher Eingang bei uns findet als das Gute, werden wir diese Entwicklung wohl auch in Deutschland nur schwer aufhalten können. Da zeigt sich wieder einmal, wie verhängnisvoll die Einverleibung der Psychotherapie durch die technisierte Medizin sich auswirken kann. Allerdings erwähnt Yalom eine Studie aus den USA (Weston und Morrison: How Empirically Valid are EVPs? A Critical Appraisal), die deutlich machen konnte, dass die angeblich so erfolgreiche Verhaltenstherapie - das einzige Verfahren, dass bei der sogenannten evidenzbasierten Psychotherapie übrigbleibt - nur mit Wasser kocht, sich die Erfolge langfristig vermutlich sehr in Grenzen halten. Nichts gegen die Verhaltenstherapie! Aber sie ist eben doch ein Verfahren, dass sich vorrangig auf die Kurierung einer Symptomatik spezialisiert hat und damit eine Repräsentantin eines verkürzten Menschenbildes darstellt, in dem der Mensch in seine einzelnen Kompartimente zerlegt wird, der Blick für das Ganze, vor allem für die existenzielle Seite menschlichen Seins und schließlich die philosophische Dimension des Menschen verloren gehen. Dass bleibt selbstverständlich nicht ohne Folgen für die Ausbildung von Psychotherapeuten, deren Horizont bzgl. des Wissens über die menschliche Existenz immer schmaler wird, dies aber auf angeblich "wissenschaftlich" hohem Niveau. Mit der Praxisrealität hat das wenig zu tun, aber viel mit der rein monetären Orientierung der westlichen Kulturen, sowie ihrer Hinwendung zum Spaß, bei dem natürlich eine Angststörung oder ein anderes Symptom hinderlich sind. Aber bitte keine kritischen Fragen an die individuelle und gesellschaftliche Existenz des Menschen!

Aber nun zum eigentlichen Text, der eben aus rund 80 "Ratschlägen" eines erfahrenen Klinikers besteht. Yalom ist weit entfernt von der in der Anfängen der Psychotherapie postulierten Spiegelhaltung, von dem unnahbaren Psychoanalytiker, wie es ihn heute zum Teil immer noch gibt. Er geht in die Beziehung zum anderen hinein, stellt sich als sichtbare Person zur Verfügung. Dies tut er selbstverständlich nicht unreflektiert; aber er tut es wohl wissend, dass er als Psychotherapeut auch Modell für den irritierten Menschen ist, der in der Regel an seinen Beziehungen, an seiner eigenen Beziehungsunfähigkeit und der der anderen, erkrankt ist.

Yalom hat dabei großen Respekt vor der Individualität des Patienten, begreift sich und ihn als gemeinsam Reisende. Die Aufgabe des Therapeuten besteht darin, Wachstumshindernisse beim Patienten auszuräumen (wobei er sich auf die schon fast vergessene Karen Horney beruft) und Diagnosen zu vermeiden, die einzig hinsichtlich organischer Ursachen wirklich relevant sind, ansonsten den Blick nur einengen und den komplexen Anderen reduzieren oder - schlimmer noch - ihn iatrogen der Diagnose anpassen. Wichtiger ist der Zugang zum Patienten, mit den Augen des Patienten sehen lernen, um ihn zu verstehen (eine Maxime, die Alfred Adler nicht Müde wurde zu betonen, den Yalom allerdings nicht erwähnt).

Die Therapie findet vorrangig im Hier und Jetzt statt, d.h. entscheidend und hilfreich ist, was der Patient in der konkreten Beziehung zum Therapeuten erfahren kann. Eine Maxime, die glücklicherweise auch in der Psychoanalyse wieder Boden gewonnen hat. Das Bild des Archäologen, der Schicht um Schicht abträgt, um ein Urtrauma auszugraben, trägt nicht mehr. Dabei hat Freud nicht einfach ausgedient, selbst wenn viele seiner Ergebnisse inzwischen fraglich sind oder sich als falsch erwiesen haben.

Einer der Ratschläge bezieht sich auf das gute Zuhören, was ein Psychotherapeut unbedingt lernen muß. Dabei geht es nicht allein um die Aufnahme von Fakten, sondern in weit höherem Maße um die Schulung des "dritten Ohres" (Theodor Reik) - etwas, was psychodynamisch verstehenden Psychotherapeuten eigentlich selbstverständlich sein sollte.
Neben solchen Selbstverständlichkeiten gibt es aber viele andere interessante Gesichtspunkte. Die Transparenz der Persönlichkeit des Therapeuten habe ich schon erwähnt - auch die Gefahren diskutiert Yalom. Aber was machen Sie, wenn es Patienten weiter bringen als Sie selbst? Wie steigern Sie die Empfänglichkeit des Patienten? Sind Sie frei genug, um wesentlich über Tod und Sterben sprechen zu können? Trauen Sie sich, Ihre Fehler einzugestehen? Was tun Sie für Ihre Psychohygiene? Können Sie es ertragen, wenn der Patient Ihnen hilft? Machen Sie Hausbesuche? All diese Themen kommen ebenso zur Sprache, wie Yalom eine Lanze für den Traum als individuell bedeutsames Ereignis bricht, der eben nicht bloß ein Check-up des Gehirns ist, wenngleich er kaum je vollständig gedeutet werden kann. Ein Plädoyer für die völlige faktisch sexuelle Abstinenz in der Psychotherapie fehlt selbstverständlich (aus gegebenem Anlass der Diskussion) ebenfalls nicht.

Was macht die Texte von Yalom - und den vorliegenden eben auch -, so interessant und spannend? Vorrangig ist es seine Haltung dem therapeutischen Prozess gegenüber. Hier spricht noch ein Mitmensch, kein Psychotechniker. Ferner spricht Yalom immer auch von sich. Zwar gibt es einige Texte, die sich mit der Person des Psychotherapeuten und dem psychotherapeutischen Prozess lebendig auseinandersetzen (es seien nur ein paar genannt: L. Eidelberg, Das Gesicht hinter der Maske; A. Guggebühl-Craig, Macht als Gefahr beim Helfer; J. Rattner, Grenzerfahrung und Überschreitungen), aber kaum einer wagt sich so weit hervor, dem Patienten in solcher Offenheit zu begegnen und auch jungen Kollegen soviel Einblick in die innere Beteiligung des Psychotherapeuten zu gewähren und das auch noch schriftlich vorzulegen.

Bernd Kuck, Bonn

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