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Wolf, Christa: Leibhaftig. Erzählungen, Luchterhand 2002, 184 Seiten


Leibhaftig, die Erzählung einer Krankheit zum Tode, die aber den Tod nicht obsiegen lässt, ist angesiedelt in der (letzten) Zeit der ausweglosen Krise der DDR. Gleichnishaft erzählt Christa Wolf die Geschichte einer Kranken, deren Körper sich gegen eine Vergiftung wehren muss, deren Ursprung von den Ärzten lange vergeblich gesucht wird. Das schwache Immunsystem der Patientin unterläuft alle ärztlichen Maßnahmen. In Fieberphantasien gleitet die Kranke am Rande des Bewusstseins durch eine Art „Zwischenreich“, findet sich dabei in Rückblenden zusammen mit ehemaligen Gefährten, deren Wege sie nachspürt. Vor allem ein Gefährte taucht immer wieder auf, dessen Kritikerin und Gegnerin sie mehr und mehr wird, und dessen Leben eine tragische Wendung nimmt.

Schmerz, Grauen, Panik, Tachycardien und Schüttelfröste rütteln in und an der Patientin, die mit der für sie erschütternden Einsicht, dass eines auf das andere wirkt und aus dem anderen hervorgeht , also eins ist – gemeint ist hier der für sie schwindende Unterschied zwischen Körper und Seele –, ihren ersten Schritt in die Genesung findet, jedoch die bedrohlichen Abgründe und Labyrinthe noch vor sich hat. Kora, die Anästhesistin, begleitet sie nicht nur während der Operationen und in wachen Gesprächen an der Bettkante, sondern auch in vielen Fieberträumen der Patientin durch diese Gänge in eine unerledigte Vergangenheit. Die Kranke bewegt sich auf der Grenze zum  Hades, in den sie zwar schaut, aber deren Betreten Kora als „schützende Wächterin“ verhindert. Und langsam „springt (die Zeit) in ihr Gleis“. Die Todkranke - nicht die Gesellschaft - hat sich ins Leben gebracht, mit der Hilfe der anderen. Und. Nicht zuletzt „durch die unverbrüchliche Anwesenheit des vertrauten Du“.

In ihrer „spröden-sensiblen“ und knappen  Sprache fehlt es der Autorin neben der Dramatik, der filigranen Schlichtheit und dem „Geradeheraus“ nicht an leisem Humor. Die vielen Doppeldeutigkeiten, welche die Kranke in den Worten aufspürt, die ihr „neu“ entgegenkommen,  regen an, weiter nach- und quer zu denken.

Dipl.-Psych. Ingritt Sachse, Aug. 2002

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Leibhaftig.

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