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Uhl, Matthias  / Voland, Eckart : Angeber haben mehr vom Leben. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg-Berlin 2002, gebundene Ausgabe, 240 Seiten, mit Zeichnungen von Sylvia Debusmann, 19,95 Euro, ISBN: 3827413702 


Warum hat der Pfau einen so unsinnig großen und bunten Schwanz? Warum lässt ein Jugendlicher an der Bordsteinkante den Verkehr so gefährlich nahe an sich vorbeirauschen? Weil sie damit ihre Potenz signalisieren, sagen Matthias Uhl und Eckart Voland, beide vom Zentrum für Philosophie der Wissenschaften an der Universität Gießen. Eigentlich könnten die beiden Kraftprotze sich den Aufwand sparen, aber für die Weibchen sind dies unverfälschte Zeichen der Überlegenheit.

Im vorliegenden Text erläutern Uhl und Voland anhand der Rotfärbung von männlichen Stichlingen, des Pfauengefieders, des beeindruckenden Nestbaus der Laubenvögel und vieler weiterer Beispiele aus Tier- und Menschenwelt, warum sich der Aufwand lohnt: Es werden jene Männchen von den Weibchen bevorzugt, die mehr bringen als die anderen. In der imaginären Sprache der Tiere: "Wenn ich mir diesen Burschen angele, haben meine Nachkommen die besseren Gene und damit bessere Überlebenschancen." Wer hingegen nicht schön, stark oder reich ist, den bestraft die Liebe mit Nichtachtung.

Das erinnert stark an Richard Dawkins These von den "egoistischen Genen" - Überleben und Fortpflanzen scheinen die Hauptmotive aller Beteiligten zu sein. Doch die beiden Autoren folgen tatsächlich mehr dem "Handicap-Prinzip" der israelischen Biologen Amotz und Avishag Zahavi. Das Wort Handicap ist nun allerdings denkbar ungeeignet, um den Sachverhalt zu beschreiben. Gemeint ist folgendes: Ein guter Golfer bekommt ein "Handicap", einen Malus, damit er anderen, schwächeren Mitspielern nicht hoffnungslos überlegen ist. Wer ein Handicap hat, ist im Grunde Spitze.

Anders gesagt: Wer angibt, zeigt, dass er über die notwendigen Ressourcen verfügt. Der wenig bekannte Soziologe Thorstein Veblen (1857-1929) hatte schon im vorvergangenen Jahrhundert in "Theorie der feinen Leute" den Luxus und die Verschwendung, den demonstrativen Konsum und den Müßiggang als Kommunikationsmechanismus beschrieben. Könige haben eben Flamingos im Garten, keine Milchkühe. Sie geben an, wie es um ihren Zustand steht, und sind in diesem Sinne "Angeber". Die Varianten Lügner und Hochstapler umfasst diese Definition nicht.

Uhl und Voland diskutieren die Hypothesen, dass auch unser Verhalten im Alltag stark von dem "Schau-her-ich-bin-fit"-Prinzip durchdrungen ist. "Überall wird mit größtmöglichem Einsatz von Besitz und Fähigkeiten um Sozialpartner und Prestige gekämpft", meinen sie. Viele Handlungsweisen wie Freeclimbing oder Motorradfahren ohne Helm werden auf einmal verständlich, die Markenhörigkeit der Jugend erhält plötzlich einen Sinn. Man will Prestige und sich für Sozialpartner interessant machen. Selbst menschlicher Altruismus ist ihnen eine Werbestrategie um Liebe, Sex und Aufmerksamkeit.

Uhls und Volands Grundkurs in Angeberei ist kurzweilig und mit Humor geschrieben. Das Durchdeklinieren eines evolutionären Prinzips - die Herausbildung sexueller Signale - hat jedoch seine Grenzen. Lässt sich beispielsweise die Sex-Optimierung auf den weiblichen Teil der Erd-Lebewesen anwenden? Was ist mit jenen Tieren und Menschen, die es nicht nötig haben anzugeben (oder die nichts Auffälliges aufzuweisen haben), beispielsweise weil sie ihre reproduktive Phase hinter sich haben? Wie verträgt sich Alterserfahrung mit der Aussage, selbst Kunst und Kultur seien kaum etwas anderes als sublimierte Sex-Signale von Männern an Frauen?

Und wie ordnen die Autoren jene Menschen ein, die das öde Spiel der Konkurrenz um Frauen durchschauen, vielleicht sogar ablehnen? Die Reichtum und Prestige verachten? Wie sind die Fälle zu bewerten, wenn das Signal nicht ankommt oder das Gegenteil bewirkt? Die Evolutionstheorie und ihre Weiterentwicklungen werden von den Autoren kaum beachtet, dem bedenklichen und im Grunde widerlegten "Sozialdarwinismus" des Herbert Spencer (1820-1903) zu weitgehend gefolgt. Die Evolution optimiert eben nicht, auch nicht auf sexuelle Attraktivität hin, sie hat kein Ziel. Evolutionäres kann sich auch zu Vereinfachung oder gar Lebensuntüchtigkeit hin entwickeln.

In immer weiteren Kreisen wird das Handicap-Prinzip entfaltet und muss schließlich als Erklärung sogar für die Menschwerdung herhalten. Menschenaffen, schreiben Uhl und Volant, haben bis auf den roten Hintern bei einigen Arten keine Handicap-Signale. Doch gerade das Handicap-Prinzip sei der Grund, warum der Mensch zur weltweit dominierenden Spezies heranwuchs, weil es die Spezies zu immer tolleren Taten anspornte, während die Menschenaffen zu einer gefährdeten Art wurden. Der Ausschluss der Menschenaffen von diesem Prinzip widerspricht allerdings der Hypothese vom Handicap-Theorem als biologisches Universalprinzip. Und im übrigen wählen Affen ebenso nach Fitness aus wie andere Tiere, die Beobachtung der Autoren ist falsch.

In einem haben die Autoren allerdings doch recht (auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen): Angeber haben mehr vom Leben. Wir geben nicht mehr mit großen Federn, roten Hintern oder kunstvollen Nestern an, wohl aber mit Autos, Diplomen, einer guten Figur oder auch Gemeinsinn. Selbstinszenierung ist weit verbreitet, Erfolg ist sexy. Angeber ziehen die Frauen an wie die Motten. Und sie haben, wie schon Woody Allen vermutete, einfach den besseren Sex. 

Gerald Mackenthun
Berlin, Dezember 2002

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Angeber haben mehr vom Leben.

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