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Henseler, H., Wegener, P. (Hrsg.): Psychoanalysen, die ihre Zeit brauchen, 3. Auflage, Wiesbaden 2000


Psychoanalysen dauern lange, kosten viel und sind ineffektiv. So könnte die immer wieder laut werdende Kritik an der Psychoanalyse zusammengefaßt werden. Als Belege werden gerne ehemalige Patienten angeführt, die zugegeben anscheinend sehr schlechte Erfahrungen gemacht haben, die sicher nicht allein ihrer verhängnisvollen oder destruktiven Psychodynamik anzulasten sind. Es ließen sich gleichwohl andere Selbstdarstellungen anführen, die eine dilettantische Fehlbehandlung in Langzeit- oder Kurzzeittherapie unterschiedlicher Provenienz durchlitten haben, ehe sie schließlich Zugang zu einem besseren Verständnis ihrer selbst und damit zu einer Lösung wesentlicher innerer Konflikte fanden - dies in einer analytischen Psychotherapie (z.B. Reiners: Das heimatlose Ich, München 2002).

Gerne wird auch Kritik geübt an fragwürdigen Theoriegebäuden, die aus der Feder psychoanalytischer Forscher stammen, vorzugsweise aus der Feder Sigmund Freuds (z.B. het van Reve, Ffm./. 1994).
Zugegebenermaßen gibt es wenige empirische Untersuchungen aus dem Psychoanalytischen Umfeld. Diesem Mangel wird langsam versucht Abhilfe zu schaffen (Leuzinger-Bohleber u.a., Gießen 1997; Rudolf u.a., Stuttgart 2004), wobei der Mangel sich wesentlich daraus erklärt, daß das "Material" medizinisch-naturwissenschaftlicher Methodik nicht recht zugänglich ist.

Falldarstellungen eignen sich ungleich besser dazu. Im vorliegenden Band sind zwölf klinische Darstellungen vorgelegt, die nicht nur deutlich machen, daß hochfrequente und langwierige Behandlungen sehr erfolgreich sein können, sondern auch, welches Engagement von Seiten der Patienten und der Behandler aufgebracht wird, um diese positiven Entwicklungen zu ermöglichen. 

Sicherlich ist nicht bei jedem Behandlungsfall ein solcher Aufwand notwendig oder erfolgversprechend. Vieles läßt sich in kurzer Zeit behandeln. Aber eben nicht alles und jedes. Auch der Effektivitäts- und Wirtschaftlichkeitswahn unserer Zeit gibt dem Schnell-schnell durchaus nicht das entscheidende Argument an die Hand, wie eine simple Kostenrechnung am Ende eines der Beiträge zeigen kann.

Angesichts der derzeitigen Debatten um die Gesundheitsreform hat das Thema nichts an Relevanz eingebüßt. Der Abkürzungswahn zeigte sich kürzlich wieder in den Richtlinien für tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, in denen, von den meisten Behandlern unbemerkt, die Regelleistung von max. 80 auf 50 Stunden herabgesetzt wurde.

Nach dem Untergang des "real existierenden Sozialismus" ist der Kapitalismus von der Notwendigkeit seines sozialen Mäntelchens befreit. D.h. unter Umständen auch, daß wir dem Paradox gegenüberstehen, wonach der Warencharakter menschlicher Beziehungen sich mehr oder weniger ausweitet. Der damit wachsenden Zahl sogenannter früher Störungen steht eine immer wachsende Zahl von Schnellverfahren gegenüber, die niemals die Schäden durch Beziehungs-, Bindungs- und Vertrauensverlust beheben können. Und das scheint mir gerade charakteristisch für die vorliegenden Falldarstellungen: Die Ausdauer, Geduld und Beharrlichkeit, mit der die Behandler den tiefen Erschütterungen der Vertrauensbasis auf Seiten der Patienten begegnen. Damit werden sie zu Akten der menschlichen Begegnung, ja der Menschlichkeit, deren wir mehr und mehr entbehren.


Bonn, August 2004
Dipl.-Psych. B.Kuck

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Henseler/Wegener
Psychoanalysen, die ihre Zeit brauchen.

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