HELEN
GARNER: DAS
ZIMMER, Berlin
Verlag, 174 Seiten
Ich hab dieses Buch in einem Zug
gelesen, von der ersten bis zur letzten Seite. Warum? Es hat mich
gepackt und nicht mehr los gelassen.
Helen
Garner ist eine Entdeckung. Die Autorin, die so unausweichliche
Bücher schreibt. Kompromisslos führt sie vor, was alle
betrifft: das Ende unseres Lebens. Aber darüber hinaus fordert
sie auf, nichts zu vertagen, nichts einer unbestimmten Zukunft zu
überlassen, zu leben!
Die
große Kraft des Romans ist seine Authentizität. Hinter
jeder Zeile, jedem Gedanken, jedem Gefühl steht die Autorin.
Alles hat sie konkret erlebt, durchlitten, überstanden,
ausgehalten. Das ist es, was uns irritiert, schüttelt, fesselt,
und mitreißt in das dramatische Geschehen hinein. Der Leser
weint und wütet mit, lacht, ist erschöpft und verzweifelt.
Am Ende aber auch staunend und leichten Herzens, sogar getröstet
und gestärkt.
Wie gnadenlos diese Ausnahmesituation alle an den Rand treibt,
die Todkranke und die drei Menschen, die sie begleiten, das
beschreibt Helen Garner realistisch und mit Herzblut. Der erbitterte
Kampf um die Wahrheit droht die Freundschaft zu zerbrechen. Wir
müssen durch alle Ausweichmanöver, Lug und Trug, falsche
Hoffnung, durch unerträglichen Schmerz, bis wir völlig
mitgenommen und k.o. erleben dürfen, dass diese Freundschaft die
Wahrheit aushält. Und es versöhnt uns mit der Tatsache,
dass wir alle unseren eigenen Tod haben, wie die Autorin aufzeigt, es
gibt für jeden den individuellen Weg dorthin, es gibt eine
Begleitung. Sie zeigt auf, wie ihre Protagonisten in einer kaum
erträglichen Situation Kräfte entwickeln, Ideen haben,
Ressourcen hervor holen, die sie da durchtragen.
Es tut weh, weil Helen Garner an die
Schmerzgrenze geht mit der schonungslosen Schilderung wie dieser
Abschied den Betroffenen das Äußerste abverlangt. Es tut
gut, weil Helen Garner ebenso überzeugend beschreibt, dass es
bei der Sterbebegleitung durchaus auch Humor, Leichtigkeit, Trost und
Lachen gibt. Sie tut das in bestechender Weise in glasklarer Sprache.
Der liebevolle Humor ist ansteckend. Das Spektrum der Stimmungen und
Gefühle reicht von intensivstem tiefen Glutrot zu transparentem
Pastellhell.
In einem Gespräch mit Kerry
O’Brien hat die Autorin auf Fragen zu ihrem Buch Antworten
gegeben:
Ja, die Geschichte ist stark in
der Realität verankert.
Ja, das habe ich am eigenen
Leib verspürt.
Ja, ich kenne die
widersprüchlichen Gefühle von Menschen, die sich um
Sterbende kümmern und ich weiß, dass der Zorn eine Art
des Trauerns ist, weiß wie schwer es ist, wenn das
schreckliche Gefühl der Unaufrichtigkeit und des Misstrauens
entsteht, selbst zwischen Menschen, die sich lieben.
Ja, es kann ein furchtbares
Gefühl am Lebensende geben: Die Angst, das Leben vergeudet
zu haben. Und voll Reue zu sein über das Versäumte,
über das ‚zu spät’.
Dass nun dieses Buch mit dem
abschreckenden Thema so lesenswert und so liebenswert geworden ist,
liegt nicht zuletzt auch an der eigenwilligen, gewetzten und sehr
speziellen Sprache der Schriftstellerin. Ein schlichter,
eindringlicher Erzählton ist es.
In extrem kurzen Sätzen sagt die
Autorin klipp und klar die Wahrheit. Meisterlich reduziert sie ihre
Aussage aufs Wesentliche, auf den Kern. Nichts, was da ausgeschmückt
wäre, nie umschreibt sie etwas, kein Satz ist zu viel. Immer
messerscharf an der Befindlichkeit. Ich erinnere z.B. eine Szene, wo
Helen am Flughafen ihre 5-Jährige Enkelin bittet, einen
Rollstuhl für die soeben gelandete Nicola zu besorgen. Die
Kleine will nicht, traut sich nicht, ist überfordert. Sie selber
kann die völlig erschöpfte Freundin nicht aus den Augen
lassen. Wie die Autorin das beschreibt, den Widerstand der Enkelin,
die sich sperrt, wie Helen alle Register zieht, dieser hoch
aufgeladene Moment bleibt in der Luft hängen und der Leser ist
plötzlich Spannungsträger. Das ist die Kunst von Helen
Garner
Und sie findet originelle
schlagfertige Vergleiche und Bilder, die sie uns trocken und witzig
serviert.
Ein Kritiker hat gesagt: „Das
Zimmer ist geschrieben wie mit dem Skalpell.“
Ich möchte Ihnen. liebe Leser, am
Schluss davon noch die Stellen zitieren, die mir am besten gefallen:
Leise
und ruhig fiel in der Nacht der Regen. Ich erwachte um sechs Uhr mit
dem Gefühl, es stehe etwas Drohendes bevor; es war dieselbe
Angst, die ich auch immer dann verspürte, wenn ich ein
Manuskript zu einem festen Termin fertig haben musste: die
unausweichliche Notwendigkeit, etwas Neues aus mir herauszuholen.
Heute würde Nicola ankommen. Ich lag da wie unter einem
Schatten.
Sie
sah völlig abgemagert aus und bebte von Kopf bis Fuß, als
wäre sie zu lange mit dem Surfbrett draußen gewesen.
Nicola
wandte sich ihr mit einem Lächeln zu, das früher bildschön
und warmherzig gewesen wäre, jetzt aber nur wie ein Riss im
Gesicht wirkte.
Sie
ließ den Kopf tief hängen, als fände auf ihrem Schoß
ein winzig kleines, faszinierendes Schauspiel statt.
Der
Raum drinnen war in einem seltsamen Gelb gestrichen, einem Farbton,
der wie kontrollierte Panik aussah.
Kurz
vor Tagesanbruch, als ich gerade schlaflos dalag, brach direkt über
dem Haus ein seltsames kleines Gewitter los, ließ ein paar
Regentropfen fallen und floh weiter hinaus zu einer Klippe. Die Luft
war frisch und kühl. Irgendetwas schlich auf Zehenspitzen durch
den Laubmulch vor meinem offenen Fenster, blieb stehen und atmete
tief, um sich zu fassen.
Sie
badete den Mann in ihrem Patrizierlächeln.
Jetzt
atmete ich sie zum ersten Mal richtig ein, die dicke Luft der
Verlogenheit.
War
der Hund glücklich? Konnte man bei einem Hund überhaupt
erwarten, dass er glücklich sei? Vielleicht war der Glaube, man
sei dazu verpflichtet, glücklich zu sein, der dümmste
Einfall auf diesem Planeten.
Das
gefrorene Lächeln war wieder da.
Sie
hatte sich selbst beigebracht, wie man allein lebt.
Meine
Stimme schoss die Tonleiter hinauf.
Tod.
Nun stand das Wort im Raum. Ich hatte sie dazu gebracht. Ich sah sie
an, dort auf dem lavendelfarbenen Sofa, wie sie versuchte, ihr
Entsetzen zu verbergen, und mein Herz zog sich zu einem Knoten aus
Mitleid, Liebe und Wut zusammen.
Ich
ging nach draußen und stellte mich in die frische Luft.
Ich
sehnte mich nach den Kindern, die nebenan wohnten, nach ihren
kleinen, fest umrissenen, vor Lebenskraft pulsierenden Körpern.
...mit
einem so gläsernen Lächeln, dass es geradezu klirrte.
Ich
fürchtete schon, ich könnte von der Bank rutschen und
längelang in die abgeschnittenen Rosen fallen. Gleichzeitig
klirrte mir eine ganze Kette von metallenen Gedanken durch den Kopf,
so als würde ein Anker herunterrasseln.
Der
Tod lässt sich nicht verleugnen. Das zu versuchen ist
ungeheuerlich. Es treibt den Wahnsinn in die Seele.
In
ihrer Gegenwart wurde alles langsamer und weitete sich.
Meine
Glieder fühlten sich weich und kreidig an.
Die
Sonne kam heraus, der Tag wurde strahlend. Wir suchten uns eine Palme
aus, die einen vollkommen runden Schatten warf, und machten es uns in
diesem Kreis im Gras bequem.
Eine
leichte Strömung von stummer Verständnislosigkeit drang
durch die Leitung zu mir herüber.
Wir
saßen in einem vertrackten Schweigen da.
Ich
habe wirklich oft gedacht, ich müsse sie selber umbringen und
dem Krebs die Mühe ersparen.
...das
Lächeln gigantisch und wie angenietet.
Wir
lagen in dem dämmrigen Zimmer wie zwei gefällte Baumstämme.
Ein
bisschen Energie regte sich in mir wie ein kleiner Wurm.
Mein
Herz war ganz löcherig.
Es
war, als säßen wir bis zum Kinn in ruhigem Wasser. Unsere
Arme und Beine waren schwerelos und unsere Herzen auch.
Kaufbeuren,
März 2009
Roswitha Hofmann
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