Riane Eisler: Von der Herrschaft zur
Partnerschaft. Weibliches und
männliches Prinzip in der Geschichte. 430 Seiten, Bertelsmann Verlag, München
1989.
"Am Anfang war das Weib". So könnte man in etwas ältlichem
Sprachgebrauch den Inhalt des vorliegenden Textes zusammenfassen. Im ganzen ist
es aber weit spannender, knüpft doch die international anerkannte
Friedensforscherin an die feministische Bewegung an und an die äußerst
plausible Überlegung, dass die Frau als Gebärerin die mythische Gestalt
schlechthin war, wie alles, was auch Mutter Erde hervorbrachte der "Großen
Mutter" angehörte. Darin lag die Macht der Frauen, die einerseits zu Verehrung,
andererseits zu Angst Anlass gab. Denn wenn sie Leben schenken konnte, konnte
sie es nicht auch nehmen? Diese Grundüberlegung untermauert Frau Eisler mit
einigen archäologischen Funden, die allerdings einer Neuinterpretation
bedürfen, denn natürlich sind sie aus der männlichen Sicht über uns
gekommen. Das wäre nun nicht verwunderlich, denn es ist eine altbekannte
Tatsache, dass geschichtliche Funde nicht nur eine Interpretation im Sinne der
gerade herrschenden Geschichtsauffassung erfahren, sondern vor allem
determiniert sind von dem aktuellen Stand gesellschaftlicher Verhältnisse.
Frau Eisler führt eine Begrifflichkeit ein, die diese Art der Deutung, ja
Weltauffassung auf den Punkt bringt. Da gibt es das dominatorische oder Herrschaftsmodell,
was gemeinhin mit Patriarchat oder Matriarchat bezeichnet wird (dabei scheint es
unwahrscheinlich, dass es in der Frühgeschichte je ein Matriarchat gegeben
hat), bei dem die Herrschaft über andere im Vordergrund steht. Solche Kulturen
nennt die Autorin Androkratien, da sie in der Regel auf der Herrschaft
von Männern gründen. Das andere Modell ist ein Partnerschaftsmodell, in
dem primär die sozialen Beziehungen auf dem Prinzip der Verbindlichkeit
oder des Konsenses beruhen. Solche Kulturen könnten ein Zukunftsmodell
sein, welches mit dem Namen Gylanie belegt wird.
Die kulturelle Transformationstheorie geht nun davon aus, dass die
Partnerschaftlichkeit das ursprüngliche Hauptziel der kulturellen Evolution
war. Darin stimmt sie übrigens mit der Theorie von Kropotkin überein, der als
erfolgreiches Prinzip in der Entwicklung jenes der gegenseitigen Hilfe
ausgemacht hatte. In den prähistorischen Gesellschaften habe es, nach Eisler,
eine Verehrung der lebensspendenden und lebenserhaltenden Mächte gegeben, die
in Symbolen des Kelches ihren Ausdruck fanden. Das Grundproblem sei nicht das
Geschlecht der Männer,
"sondern ein soziales System, welches die Macht des Schwertes zum
Ideal erhebt - ein System, in dem sowohl Männern als auch Frauen beigebracht
wird, echte Männlichkeit mit Gewalt und Herrschaft gleichzusetzen und
Männer, die diesem Ideal nicht entsprechen, als 'zu weich' oder 'weiblich'
anzusehen."
In den Darstellungen des Neolithikums finden sich keine Idealisierungen von
bewaffneter Macht, von Grausamkeiten und Gewaltherrschaft. Die Darstellung
"edler Krieger" fehlen ebenso wie der "heldenhafte Eroberer".
(S. 56) Die heute als Symbole der Macht allzu vertrauten Gegenstände, Speere,
Schwerter, Donnerkeile oder Darstellungen eines Gehorsam erzwingenden Herrschers
oder Gottes finden sich nicht. Mehr noch:
"Der Kunst jener Zeit fehlt in verblüffender Weise jede bildliche
oder figürliche Darstellung von Herrschern und Beherrschten, von Herren und
Untertanen, wie sie für dominatorisch orientierte Gesellschaften so
charaktersistisch sind." (57)
Darstellungen gebärender Frauen als zentralem religiösen Symbol lassen
vermuten, dass Leben und Lebensfreude im Zentrum des Interesses standen, nicht
so sehr Tod und Todesangst, wie sie in der Symbolik des "Gekreuzigten"
zum Ausdruck kommen. Folglich finden sich in den partnerschaftlichen Kulturen der
Frühzeit keine Gräber mit dem ganzen Heldenkult späterer Zeiten, den man als
religiöse Prämie für den Tod auf dem Schlachtfeld begreifen muss.
Viele Hinweise auf eine matrilineare Kultur gibt es auf Kreta, deren Kultur
um 6000 v. u. Z. beginnt. Hier genoss die Göttin die höchste Verehrung, lassen
sich keine Anzeichen kriegerischer Auseinandersetzungen finden. Hier sei die
Angst vor dem Tod von einer "allumfassenden Lebensfreude ausgelöscht"
worden. (79) Die Nähe zu Leben und Natur scheint die Friedensliebe begünstigt
zu haben, denn es gibt keinerlei Berichte über die Heldentaten einzelner
Herrscher, nirgends gibt es auf einem Kunstwerk den Namen des Künstlers, was
sicherlich auch Hinweis auf ein kollektives Denken ist.
War es sonst auf dem Festland zu dieser Zeit üblich, übermächtige männliche
Herscherfiguren darzustellen, so finden sich solche in der minoischen Kultur
nicht.
Wie kam es nun zu den Veränderungen, die für den weiteren Gang der
kulturellen Transformation so entscheidend wurden? Man nimmt an, und es gibt auch
archäologische Belege dafür, dass es Invasionen aus den Randgebieten gab, sowie Naturkatastrophen. Das Chaos wächst, es häufen sich die Hinweise im Alten
Europa, wonach der Niedergang der neolithischen Gesellschaft im fünften
vorchristlichen Jahrtausend begann, wesentlich verursacht durch mehrere
Invasionswellen von Hirtenvölkern aus den Steppen, den sogenannten "Kurgan-Völkern".
Und so ging das Schlachten und Abschlachten voran, was im übrigen im Alten
Testament in all seiner Greulichkeit nachgelesen werden kann, dem sogar einiges
an historischer Wahrheit zukommt.
Metalle wie Kupfer und Gold waren schon den Menschen des Neolithikums
bekannt. Es wurden religiöse Kultgegenstände und Werkzeuge hergestellt - aber
keine Waffen! Das Auftreten von Bronzewaffen decke sich mit den
Verbreitungswegen der "Kurgan-Völker".
Mit dem Erscheinen der Invasoren wurden die Göttinnen mehr und mehr aus den
Kulten entfernt, die Frauen zu Gefährtinnen und Konkubinen der Männer
degradiert. Frauen und effeminierte Männer wurden versklavt. Dies sei der Grund
für den Wandel in der Kultur, nicht die den Männern langsam dämmernde
Erkenntnis, ebenfalls etwas zur Fortpflanzung beizutragen.
Die Kulturen des Alten Europa lebten in sorgfältig geplanten Siedlungen,
betrieben Ackerbau und waren friedlich. Denn ihre Siedlungen weisen keinerlei
Wälle zum Schutz auf. Die Kurgan-Völker waren nomadisierende hierarchisch
organisierte Stämme, die von Viehzucht und Weidewirtschaft lebten. Unklar
bleibt aber, wie denn die Kurgan-Völker zu ihren Strukturen kamen. Vermutlich
ist das nicht so wichtig, denn es ist denkbar, dass sich beide zufällig entwickelten, die gewalttätigen und herrschaftsorientierten
sich aber durchsetzten.
Die Wiege der abendländischen Kultur reicht also weiter zurück. Und hinter
den angeblich ruhmreichen Anfängen
"verbirgt sich indessen eine Bruchstelle, die sich inzwischen zu
einem der gefährlichsten Abgründe unserer Zeit erweitert hat."
Interessant ist, dass nicht der Krieg der Vater aller Dinge ist, sondern
dass "praktisch alle materiellen und sozialen Technologien, auf denen
unsere Zivilisation aufbaut, schon vor Einbruch der dominatorischen Gesellschaft
entwickelt" wurden. (131)
Ebenso existiert nunmehr ein alternatives Evolutionsmodell, dass mehr von
der Bedeutung der Frauen geprägt ist. Galt bislang, dass der Mann als Jäger
und Sammler sich in Gruppen zusammentat und das die ersten Werkzeuge zum Töten
der Beutetiere dienten, so vertreten weibliche Wissenschaftlerinnen die These,
dass der aufrechte Gang, Voraussetzung zur Befreiung der Hände, nicht mit der
Jagd zu tun hatte, sondern damit, dass sich die Essgewohnheiten änderten.
Ernährten sich die frühen Menschen quasi im Gehen, so entwickelten sie mit der
Zeit die Fähigkeit, Nahrungsmittel zu sammeln und fortzutragen. So konnten sie
besser verteilt werden. Dieser Theorie zufolge waren die ersten Gegenstände
nicht Waffen, sondern Behältnisse zum Transport. Plausibel ist durchaus, dass
Frauen, die ihre Kinder trugen und außerdem Nahrung sammelten, einen
evolutionären Vorteil hatten, wenn sie über den freien Gebrauch der Hände
verfügen konnten.
Es wäre weit gefehlt anzunehmen, dass Frau Eisler ein Bild der friedlichen
Gesellschaft unter Leitung von Frauen zeichnet. Auch damals habe es Gewalt
gegeben, jedoch sei sie nicht beherrschendes Mittel gewesen. Hauptsächlich ist
es ihr Anliegen, der Frau im evolutionären Prozess einen Platz einzuräumen,
der ihr im Laufe der Geschichte geraubt wurde. Dieser Raub lasse sich in den
überlieferten Kulturleistungen nachweisen, etwa in der Orestie des Aischylos,
worin z. B. der Muttermord nicht mehr als Verbrechen angesehen wird. Symbole aus den
Mutterkulten wurden in die dominatorischen Kulturen übernommen, wobei sie
einige Verwandlungen erfuhren. So war die Schlange ein wichtiges Symbol der
Göttin, wurde dann in der griechischen Mythologie Zeus an die Seite gestellt. Ebenso Athene, die nach der Metamorphose nicht nur Göttin der Weisheit sondern
auch des Krieges ist, trägt das Schlangensymbol auf ihrem Schild. Aus dem Kommentar zur Dartmouth-Bibel
erfahren wir, dass im heiligsten Symbol
der jüdischen Religion, der Bundeslade, nicht die zehn Gebote lagen, sondern
eine bronzene Schlange.
Immerhin haben wir uns seit dem Alten Testament schon wieder ganz hübsch
entwickelt. Wenn heute in der Türkei eine vergewaltigte Frau ihre Familie mit
Schande überzieht, die sie nur abwenden kann, wenn sie den Vergewaltiger
heiratet, dann regen wir uns zurecht darüber auf. Im Alten Testament ist das
noch ganz in der Ordnung und immerhin berufen sich alle Abrahamitischen
Religionen (Judentum, Islam, Christentum) auf diese Ursprünge.
Dies ist die weitere wichtige These des Buches, dass es im Laufe der
Kulturentwicklung immer wieder Phasen gab, in denen die Frauen einen größeren
Einfluss zurück gewannen, was mit einer wesentlichen Humanisierung der Kultur
einher ging. Dabei ist es vielleicht nicht unwichtig, dass in der Antike z.B.
Pythagoras bei einer Priesterin in Delphi, Themistoklea, Ethik lernte; dass
Sokrates von Diotima, Priesterin aus Mantinea, unterrichtet wurde; dass die
führenden griechischen Männer nach Delphi pilgerten, um von der Priesterin
Pythia Ratschläge einzuholen. Immer wieder gab es solche Aufschwünge, zuletzt
der Feminismus, die immer wieder von der androkratischen Weltsicht zurück
gedrängt wurden. Etwa nahm die Zahl der Mißhandlungen von Frauen zur Zeit der
Frauenbewegung im 19. Jahrhundert zu; ebenso im Gefolge der Women's Lib-Bewegung
im 20. Jahrhundert.
"Aus der Perspektive der kulturellen Transformationstheorie ist
die Erklärung für die Funktion der massiven und brutalen Gewalt gegen Frauen
innerhalb des Systems leicht zu erkennen. Wenn die Androkratie erhalten
bleiben soll, müssen die Frauen unterdrückt werden - koste es, was es
wolle."
Wenn es nicht gelingt, auch an diesem Punkt aus der Geschichte zu lernen,
dann steuern wir auf die nächste kulturelle Katastrophe zu. Und die derzeitige
Politik eines Bush junior, Terroristen aller Couleur, lassen nichts Gutes ahnen.
Bernd Kuck
Bonn, Mai 2004
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